Das Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom (englisch MSBP für ,Munchausen syndrome by proxy') ist eine seltene psychologische Erkrankung, bei der ein Elternteil, Vormund oder eine andere Vertrauensperson Symptome einer Krankheit bei der betreuten Person erfindet, übertreibt oder absichtlich hervorruft.
Als eine Form des Kindesmissbrauchs ist MSBP nach einer anderen psychischen Erkrankung benannt, dem Münchhausen-Syndrom, bei dem der Betroffene versucht, Ärzte, Familienmitglieder und andere davon zu überzeugen, dass er selbst krank ist. Obwohl über beide Erkrankungen nur wenig bekannt ist, wird angenommen, dass sie aus dem Bedürfnis nach Aufmerksamkeit resultieren.
Einer der berüchtigtsten Fälle des Münchhausen-Stellvertreter-Syndroms ereignete sich in Missouri, als Dee Dee Blanchard nach Jahren des MSBP-Missbrauchs an ihrer Tochter Gypsy Rose ermordet wurde.
Was ist das Münchhausen-Syndrom?
Das Münchhausen-Syndrom ist eine anerkannte Erkrankung, bei der der Betroffene die Rolle des Kranken einnehmen möchte und daher Symptome einer oder mehrerer Krankheiten vortäuscht.
Dies kann geschehen, indem die Erkrankten versuchen, Wunden absichtlich zu infizieren, Substanzen einnehmen, von denen sie wissen, dass sie ihrem Körper schaden, oder Medikamente verwenden, die ihnen nicht verschrieben wurden. Es gibt dokumentierte Fälle, in denen Betroffene jahrelang eine Vielzahl von Erkrankungen vortäuschten. Sobald ihre Täuschung an einem Ort entdeckt wird, ziehen sie möglicherweise einfach um und beginnen von vorne.
Es ist wissenschaftlich nicht vollständig geklärt, warum jemand vorgibt, krank zu sein, außer um die Pflege und Aufmerksamkeit zu erhalten, die die Behandlung mit sich bringt. Es wird jedoch vermutet, dass Betroffene des Münchhausen-Syndroms andere psychische Gesundheitsprobleme oder emotionale Traumata haben.
Was ist das Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom?
Das Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom ist eine Erkrankung, bei der ein Erwachsener, meist die Mutter, absichtlich Symptome einer Krankheit bei einem Kind in seiner Obhut fördert. Dies kann geschehen, indem die Täter diese Symptome gegenüber Ärzten und anderen Gesundheitsfachkräften erfinden oder übertreiben. Sie können auch Testergebnisse manipulieren oder Krankheitsbilder absichtlich hervorrufen, indem das Kind wohlweislich vergiftet wird.
Das Münchhausen-Stellvertreter-Syndrom wird als eine seltene Form des Kindesmissbrauchs angesehen, bei der das Kind durch die Handlungen seines Vormunds langfristige oder sogar tödliche Schäden erleiden kann. Fakt ist, dass zwischen sechs und zehn Prozent aller Kinder in solchen Fällen vorzeitig sterben.
Schwierige Diagnose
Die Diagnose ist schwierig, da die Täter oft sehr fürsorglich erscheinen und Ärzte oder Kliniken wechseln, sobald Verdacht aufkommt. Ein möglicher Warnhinweis ist, wenn bei Kindern trotz rechtzeitiger und korrekter Behandlung keine dauerhafte Besserung eintritt oder plötzlich unerklärliche weitere Symptome auftreten. Die Kinder selbst sind sich der Misshandlung meist nicht bewusst oder stehen in einem äußerst engen Verhältnis zu ihrem Peiniger. Demnach muss der Anstoß zur polizeilichen Nachforschung von Ärzten, Krankenpflegern oder Familienmitgliedern kommen.
In einem nachgewiesenen Fall von MBPS wird der Täter einer psychotherapeutischen Behandlung unterzogen und das Opfer erhält psychologische Betreuung. Strafrechtlich gesehen, gilt MBPS als Misshandlung von Schutzbefohlenen, in schweren Fällen ist gefährliche Körperverletzung oder gar Totschlag gegeben. Als Folgen kann neben einer Haftstrafe auch eine Einweisung in eine psychiatrische Klinik erfolgen.
Die Ursachen für MBPS liegen häufig in tiefgreifenden Persönlichkeitsstörungen des Täters, die durch eigenen Missbrauch oder Misshandlungen in der Kindheit hervorgerufen wurden.
Wer ist Gypsy Rose Blanchard?
Vielleicht der bekannteste Fall des Münchhausen-Stellvertreter-Syndroms betrifft Gypsy Rose Blanchard. Sie war von sehr jungen Jahren an Opfer von psychischem, physischem und medizinischem Missbrauch durch ihre Mutter Dee Dee. Unter anderem versuchte ihre Mutter die Behörden davon zu überzeugen, dass Gypsy Rose an Epilepsie, Muskeldystrophie und Leukämie litt. Sie zwang Gypsy Rose, einen Rollstuhl und ein Beatmungsgerät zu verwenden und sich mehreren unnötigen Operationen zu unterziehen. Sie log auch über das Alter von Gypsy Rose und verhinderte angeblich, dass sie das Haus verließ.
Schließlich freundete sich Gypsy Rose über eine Online-Dating-Website mit einem Mann namens Nicholas Godejohn an und überzeugte ihn, ihre Mutter zu töten, um sie zu retten. Im Jahr 2015 erstach Godejohn Dee Dee mit 17 Stichen, während Gypsy Rose sich im angrenzenden Raum die Ohren zuhielt. Das Paar floh nach Wisconsin, wurde aber kurz darauf von der Polizei festgenommen.
Tragische Folgen
Nach dem Mord standen sowohl Gypsy Rose als auch Godejohn vor Gericht. Da er die Tat tatsächlich ausgeführt hatte, wurde Godejohn zu lebenslanger Haft verurteilt. Für ihre Rolle bei der Überzeugung von Godejohn, ihre Mutter zu töten, wurde Gypsy Rose zu einer 10-jährigen Haftstrafe verurteilt.
Sie wurde jedoch im Dezember 2023 nach Verbüßung von 85% ihrer Strafe freigelassen. Nach ihrer Entlassung hat sie sich wieder in die Gesellschaft integriert und eine neue Liebe mit einem Mann namens Ken Urker gefunden, mit dem sie seit 2018 während ihrer Zeit im Gefängnis eine On-Off-Beziehung hatte. Sie leben in Louisiana und im Dezember 2024 kam ihre Tochter Aurora zur Welt.
Seit ihrer Freilassung hat Gypsy Rose offen über ihre Erfahrungen gesprochen, unter anderem in "Der Fall Gypsy Rose Blanchard" (Staffel 3 ab 12. Mai auf Crime + Investigation und bei Crime + Investigation Play). Sie bedauert den Mord an ihrer Mutter, betont aber stets, dass sie froh ist, dem Horror des Münchhausen-Stellvertreter-Syndroms entkommen zu sein.