Am 16. April 2007 wurde Kristina Anderson beim Amoklauf an der Virginia Tech lebensgefährlich verletzt. Sie überlebte das Attentat, bei dem 32 Menschen getötet  und zahlreiche weitere Personen von einem Amokschützen verletzt wurden. Der Schütze war ein Student der Universität. Bis zum Blutbad im „Pulse“ Nachtclub in Orlando und dem kürzlich stattgefundenen Drama auf einem Konzert in Las Vegas, war das Ereignis an der Virginia Tech die schlimmste Massenerschießung der jüngsten US-Geschichte.

Anderson hat die Koshka Foundation gegründet, eine Nonprofit-Organisation, die Universitäten und Schulen berät, wie sie Gewalt vorbeugen, darauf antworten und sich davon erholen können.

Anderson erzählt A&E ihre Geschichte, über den tragischen Tag, als während des Unterrichts ein Amokschütze hereinstürmte – und wie man sich auf eine plötzliche Schießerei vorbereiten kann.

 

Erzählen Sie uns, wie Sie den Tag des Amoklaufs in Erinnerung haben.

Ich war spät dran für meinen Französischkurs. An dem Tag hat mich ein Freund zum Unterricht gefahren, weil wir drei Kurse hintereinander hatten. Wir kamen ziemlich spät und saßen in der hinteren Ecke vom Raum, so wie eigentlich immer.

Eine junge Frau kam kurz danach rein. Wir wussten da noch nicht, dass es am Morgen schon eine Schießerei in ihrem Studentenwohnheim gegeben hatte. Ich hätte mich vielleicht besser informieren sollen, aber wir hatten keine Laptops im Unterricht dabei. Ich hatte ein T-Mobile Klapphandy und war deswegen nicht im Internet, um nachzugucken.

Ich habe die Heftigkeit in den Wänden gespürt, als er angefangen hat zu schießen. Wir waren in einem kleinen Raum, Raum 211, und da gibt es nur eine Tür. Er hat auf dem Flur geschossen und ich habe dieses Pochen auf meiner rechten Seite gespürt. Am schlimmsten war, dass es sich steigerte, es kam von hinten, auf meiner Seite immer näher. Allein der Lärm, der immer näher kam, hat mir klargemacht, dass etwas  passieren wird.

Die Professorin ging auf den Flur und kam zurück. Sie hat panisch und ängstlich ausgesehen und gesagt: „Ruft die Polizei“.

Ich bin in Kalifornien auf die Mittelschule gegangen, deswegen hab ich mich an das Erdbeben-Training erinnert. Ich habe mich auf dem Boden unter meinem Sitz zu einem kleinen Ball zusammengerollt.

Ich habe gesehen, wie er zur Tür hereingestürmt kam. Er ging auf die andere Seite vom Klassenzimmer, diagonal zu der Stelle, an der ich war. Ich habe hochgeguckt und etwas gesehen, von dem ich  jetzt weiß, dass es zwei Handfeuerwaffen waren – in dem Moment habe ich das verdrängt – und seinen Torso habe ich gesehen. 

Er ging die Reihen der Leute entlang und eröffnete das Feuer. Er hat viele Runden lang geschossen. Ich dachte: „Gleich bis du dran, sei bereit“ und ich habe meine Fäuste geballt.

Ich wurde in den Rücken geschossen beim ersten Mal. Dann verschwand er.

Als er später wiederkam, war es viel unheimlicher, weil ich merkte, dass er guckte, wer noch lebte. Ich habe versucht die Luft anzuhalten, weil sich mein Bauch bewegte. Er schoss über meinen Kopf und ich habe hochgeguckt – was ich nicht hätte tun sollen – um das Einschussloch in der Wand zu sehen. Dann schoss er noch einmal auf mich und dieses Mal traf er mich am unteren Rücken. Eigentlich war es eher mein Hintern. Und mein rechter Zeh bekam einen Querschläger ab.

Ich glaube, ich habe nicht kapiert, wie schlimm es war, bis ich im Krankenhaus aufgewacht bin. Dort haben mir meine Eltern erzählt, dass er zwölf Leute getötet hatte, die mit mir im gleichen Raum waren.

 

Fühlt es sich so an, als ob es Glückssache ist, einen Amoklauf zu überleben?

Da ist was dran. Wir hätten nicht viel tun können. Aber wichtiger als zu überlegen, was im letzten Moment getan werden kann, ist, sich zu fragen, wie man solche Dinge vermeiden kann, so dass sie gar nicht erst passieren. Leute haben gesehen, wie der Amokschütze die Türen zugekettet hat. Leute haben gesehen, wie er an Schießständen geübt hat. Leute haben gesehen, wie er böse Sachen aufgeschrieben hat. Die Verantwortung liegt auf uns allen während unseres ganzen Lebens.

Als Schulen, Firmen oder Familien können wir viel tun. Es können Schlösser an den Türen angebracht werden. Es können Besucherhandhabungssysteme eingeführt werden. Es können Beamten an Schulen eingestellt werden, ausgebildete Polizeibeamte.

Aber was kann man tun, wenn wirklich ein Amokschütze kommt? Ich nehme immer aktiv um mich herum wahr, was ich aus meiner unmittelbaren Umgebung nutzen kann. Wie viele Türen hat ein Raum? Ich überlege, was ich bewegen könnte, wenn ich einen Tisch oder eine Tür wegdrücken müsste. Kenne die Ausgänge, kenne die Räume und wisse, was für dich greifbar ist.

Zwei Türen weiter haben zehn Studenten eine Tür erfolgreich verbarrikadiert. Sie haben alle überlebt. Die Fähigkeit eine Distanz zu schaffen, eine Barriere oder eine Verzögerung, ist wichtig, weil die Polizei sehr schnell reagiert.

 

Was hätten Sie gern vor der Schießerei gesagt bekommen, um sich besser vorbereiten zu können?

Ich wünschte, jemand hätte gesagt: „So etwas könnte dir passieren.“

Ich habe überhaupt keine selbsteffizienten Schritte gemacht. Ich bin nicht an die Tür gegangen. Ich habe nicht nachgeguckt. Ich habe nicht die Polizei gerufen. Ich wünschte, jemand hätte mir beigebracht an mich selbst zu denken und schneller zu reagieren.

 

Haben Sie sich manchmal gewünscht, dass ein Kommilitone oder die Professorin eine Waffe gehabt hätte?

Ich habe das nie für mich gewünscht. Aber ich wünschte, der Amokschütze hätte nicht zwei Pistolen in der Hand gehabt.

Ich bin dafür, dass es ausgebildete und bewaffnete Campus-Polizisten gibt. Das sollten meiner Meinung nach die einzigen sein, die bewaffnet sind. Und es gibt Campus-Polizisten, die nicht bewaffnet sind und es sein sollten – die Studenten sollten sich nicht unsicher fühlen. Aber wenn die Polizei keine Waffen trägt, was soll dann passieren, wenn ein Amokschütze kommt?

 

Lassen Sie uns über spezifische Szenarien reden. Was sollte man tun, wenn man einen Schützen schießen hört, aber ihn nicht sieht?

Sie setzen voraus, dass die Person weiß, dass es sich um einen Amoklauf handelt. Die meisten Leute reagieren nicht auf den ersten Klang von Waffengewalt. Sie denken, dass es eine Baustelle oder ein Feuerwerk ist.

Man muss ohne sich in Gefahr zu begeben herausfinden, worum es sich bei dem Lärm handelt. Wenn es sich um einen gewalttätigen Angreifer oder Täter handelt, informieren Sie andere Personen, rufen Sie die Polizei und teilen Sie ihnen genau mit, wo sie sind. Schlimmstenfalls fangen sie an zu ermitteln und es war nur ein Traktor.

Twittern Sie nicht, dass ein Schütze unterwegs ist. Rufen Sie an.

 

Wann ist es eine gute Idee, zu versuchen, einen Schützen zu überwältigen?

Wenn Sie um Ihr Leben kämpfen. Das ist die einzig wahre Antwort.

Wir können uns im Vorfeld schulen, so dass wir, wenn wir in eine solche Lage kommen, wissen, wie wir jemanden attackieren oder wie wir ein Fenster aufbrechen, um herauszukommen. Aber das Beängstigende an dem Ganzen ist, dass du am Ende auf dich selbst gestellt bist und deine Sicherheit in deinen eigenen Händen liegt.