Am 25. Mai 1968 war die 18-jährige Christine Rothschild auf dem Weg zu ihrem Schlafsaal an der University of Wisconsin-Madison, als sie brutal ermordet wurde. Ihre beste Freundin Linda Tomaszweski, die auch Studentin auf dem Campus war, wusste, wer der Mörder war, aber die Polizei ignorierte ihre Appelle und er kam davon.
Michael Arntfields wahrer Krimi „Mad City: The True Story of the Campus Murders America Forgot“ erzählt Tomaszewskis Geschichte und ihren 40 Jahre andauernden Kampf, um Rothschilds Mörder zu finden und seiner gerechten Strafe zuzuführen.
Im Folgenden beschreibt ein genehmigter Auszug aus dem Buch, wie Rothschilds Leiche gefunden wurde.
„Die 18-jährige Studentin, die gestern ermordet aufgefunden wurde, ist nun als Christine Rothschild aus Chicago identifiziert worden.“ Es war eine Mitteilung, die Lindas Lebensverlauf verändern sollte – eine Geschichte, die den kriminellen Kolorit der „Mad City“ für immer verändern sollte.
Einen Tag zuvor, kurz nach zwölf Uhr am Mittag des 26. und drei Tage vor Semesterende, war der Campus beinahe unheimlich ruhig. Eine Familie aus der nahegelegenen Stadt Waukesha – die 2014 durch den Slenderman-Fall, bei dem ein 13-jähriges Mädchen seine Mutter erstach, traurige Berühmtheit erlangen sollte – lenkte ihren Kombi wie jeden Sonntag auf die privaten, kurvenreichen Straßen des Michael Arntfield 36 UW Eigentum. In den späten 1960er Jahren war es scheinbar ein typischer Zeitvertreib in Wisconsin, an verregneten Frühlingssonntagen die Familie ins Auto zu packen, um die örtlichen UW-Campusse – La Crosse, Whitewater und natürlich Madison – abzufahren. So sollten die Architektur und die Landschaft betrachtet werden. Es war ein wöchentlicher Sightseeing-Genuss, eine seltene Möglichkeit, Leute zu beobachten.
In der Nacht des 25. Mai und am folgenden Morgen war die Temperatur in „Mad City“ gesunken. Die Feuchtigkeit, die sich seit fast einer Woche in der Luft gehalten hatte, wurde kurz vor acht Uhr freigesetzt. All die Leute, die nun nicht picknicken und keine Little League Spiele ansehen konnten, weil diese wegen Regen abgesagt worden waren, machten sich nun auf den Weg zu den Campussen und fuhren ziellos durch die Gegend. Als dieses spezielle Auto der Familie aus Waukesha, die über eine Stunde lang hierher gefahren war, auf den UW-Flagship-Campus der „Mad City“ einfuhr und dann an dem riesigen Physik-Gebäude mit dem Namen Sterling Hall vorbei fuhr, machte der kleine Junge auf dem Rücksitz eine flüchtige Bemerkung zu einer Schaufensterpuppe, die im Gras neben einer Hecke lag. Durch die beschlagene Heckscheibe, die voller Regentropfen war, konnte der kleine Junge einen kurzen Blick auf das werfen, was zwei Außensicherungsstreifen vorher scheinbar übersehen hatten. Die Eltern des Jungen machten sich nicht viel aus seiner Äußerung. Sie hielten es für die Einbildung eines Kindes oder für ein Überbleibsel einer Party der UW-Physik-Studenten zum Semesterende. Hätten sie angehalten und genauer hingesehen, hätten sie den Gang der Ereignisse wahrscheinlich verändert. Aber das haben sie nicht.
Ungefähr vier Stunden später war diese Familie zurück in Waukesha. Zum gleichen Zeitpunkt kam der Physikstudent und Teilzeit-Labor-Assistent Phil Van Valkenberg hinter einer Hecke gegenüber der Haupttreppe des Gebäudes vorbei. Es war eine Stelle, die man nicht kennen konnte, wenn man das Gebäude nicht regelmäßig besuchte oder genau kannte. Tatsächlich wusste Phil aus Erfahrung, dass es eine Abkürzung zu mehreren tiefer gelegenen Kellerfenstern war. Die Abkürzung führte zu den unteren Laborräumen, wo er mit einer Wochenendgruppe gearbeitet hatte. Darunter war auch ein Freund von ihm, der sich an dem Wochenende um die Reinigung kümmerte und darum, dass vor Ort alles seine Ordnung hatte. Phil beschloss, seinen Freund um kurz vor 16 Uhr zu besuchen. Normalerweise wäre er durch den Haupteingang gegangen und hätte sich dann seinen Weg in den Keller gebahnt. Aber dieses Mal ging er beim ersten Treppenabsatz nach rechts, wo die Hecke auf das Geländer traf. Dann sprang er nach unten, um am ersten Fenster zu klopfen. Das war die übliche Routine, um seinen Freund auf ihn aufmerksam zu machen, wenn die beiden zusammen eine Zigarette rauchen oder schnell etwas essen wollten, quasi eine Art improvisierte Essensglocke. Aber als Phil dieses Mal auf das nasse Gras sprang, verlor er den Halt, weil der Regen die Erde aufgeweicht hatte. Er rutschte nach vorn und landete in der Hocke. Nur Zentimeter von seinem Gesicht entfernt guckte er auf das, was die vierköpfige Familie ein paar Stunden vorher für eine Schaufensterpuppe gehalten hatte. Bei besagter Schaufensterpuppe handelte es sich um Christine Rothschild – oder um das, was noch von ihr übrig war.
Unwissentlich war Phil Van Valkenberg in eine bizarre Szene gefallen. Diese war bewusst arrangiert worden, um bei der Entdeckung eine bestimmte Botschaft zu liefern. Christines Leiche lag dort seit dem frühen Morgen und war ununterbrochen dem Regen ausgesetzt gewesen. Ihr Körper war so umständlich auf den Rücken gelegt worden, dass ihr Kopf auf der Betonkante des Kellerfensters von Michael Arntfield 38 lag – genau an dem Fenster, an dem Phil klopfen wollte. Unter ihrem blutbeschmierten Kopf lag eine Telefonkarte und ein Männertaschentuch aus Baumwolle – ein teures, großstädtisches, eins, das nirgends in Madison verkauft wurde. Der Zweck des Taschentuchs war rätselhaft, teils ein spöttischer Hinweis, teils die verzerrte Fantasie eines Mörders, der ein sehr spezielles Bild arrangiert hatte, sowohl für sich selbst, als auch für denjenigen, der sein Opfer fand. Christines Kopf mit dem Taschentuch darunter war zur Seite gedreht und schlimm zugerichtet worden. Beide Seiten ihres Kiefers waren zerschmettert und ihr Gesicht war zermahlen worden. Der erste Schlag mit dem, was auch immer benutzt wurde, muss sie lahmgelegt und kalt ausgeknockt haben; wahrscheinlich hat sie nichts mehr von dem gespürt, was danach kam. Grauenvoll wie es war, brachte eine spezielle Entdeckung Phil dazu zu erstarren. Christines blaues Etuikleid war purpurrot und durchbohrt; später wurde bestätigt, dass ihr Torso insgesamt vierzehn Mal mit einer unbekannten, aber sehr scharfen Waffe gestochen worden war. Die Polizisten beschrieben die Waffe später als „eine Art medizinisches Gerät“. Übersetzt: Ein Operationsskalpell.
Phil riss sich zusammen und schaffte es mit einem großen Adrenalinstoß zurück um die Hecke, die die Leiche den ganzen Tag versteckt gehalten hatte. Er fand seinen Weg zurück zu den Vordertreppen. Er rannte durch die Eingangstüren des Gebäudes und hätte beinahe mit seinem Arm das Glas zerbrochen, weil er gegen die Tür gedrückt hatte anstatt zu ziehen. Er lief in das erste offene Büro, das er im Erdgeschoss finden konnte und rief die Polizei. Alle Leitungen klingelten direkt im Büro des Campus-Direktors und nicht in der Telefonvermittlung von Madison. Wie das Glück es wollte, waren aber zwei Campuspolizisten gleich um die Ecke und konnten in weniger als einer Minute da sein. Diese beiden Polizisten – Roger Golemb und Tiny Frey – waren die gleichen, die Christine vier Tage zuvor um Hilfe ersucht hatte. Sie kamen an und mussten vorfinden, was ihre vorherige Gleichgültigkeit angerichtet hatte. Aber es stellte sich heraus, dass sie mit ihrem Fehlverhalten in Bezug auf Christine noch nicht fertig waren.
Wahrscheinlich unbeabsichtigt und aufgrund fehlender Übung in der Handhabung wichtiger Tatorte, zertrampelten sie den Schauplatz und zerstörten Beweise. Die ersten Beamten vor Ort taten ebenfalls wenig, um zu bergen, was noch erhalten war. Mittlerweile tummelte sich auf dem Tatort nämlich eine Schar Studenten, darunter besorgte Kommilitonen, aber auch makabre Schaulustige. Als eine Minute später der Krankenwagen eintraf – nur drei Minuten, nachdem Phil Van Valkenberg die Polizei gerufen hatte – bemerkten die Sanitäter, dass die Leichenstarre noch nicht eingesetzt hatte. Trotz der zahlreichen Stiche und offensichtlichen Zeichen eines biologischen Todes, sorgten die Sanitäter für eine weitere Demütigung des Mädchens, das einst ein zukünftiges, vielversprechendes Talent und Titelmädchen von Chicagos „Teen Fashion News Sheet“ war. Sie nahmen Christines verstümmelten Körper an den Händen und Füßen und trugen sie notdürftig wie eine Hängematte. Dann eilten sie mit ihr die rutschige Böschung zur Straße runter, wo sie sie in den Krankenwagen warfen – ohne Tragbahre, ohne Tuch, ohne irgendwas. Jeder verbliebene Beweis an ihrem Körper war von da an verunreinigt durch das Innere des Wagens und kurzerhand zerstört. Die Sanitäter brachten Christine die knapp 50 Meter über die Straße in das UW-Krankenhaus, wo sie sofort für tot erklärt wurde. Wieder wurde verpasst, nach möglichen Beweisen zu suchen, was schon am Tatort vermasselt wurde. Die Fehler wurden auch hinter der Sterling Hall unvermindert fortgeführt.